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Projekt-Management im Sozialwesen

Themen > Weiterbildung und Beratung > Grundhaltungen im Umgang mit «Schwierigen»

Grundhaltungen im Umgang mit «Schwierigen»

 

Referat von Franz Kohler zum Thema «Extremismus – Appellative Signale verstehen»

 

Das Podium Wettswil zusammen mit der Oberstufe Bonstetten-Wettswil-Stallikon hatten auf vergangenen Donnerstagabend in den Singsaal des Oberstufenschulhauses Im Bruggen in Bonstetten eingeladen, um mit einem ausgewiesenen Fachmann, dem Basler Franz Kohler, Hintergründe für extremistische Orientierungen bei Jugendlichen und Möglichkeiten der öffentlichen Reaktion kennen zu lernen, welche geeignet sind, zur De-Eskalation beizutragen.

 

Von Ernst Schlatter

 

Schon der Werdegang von Franz Kohler machte ganz zu Anfang deutlich, dass hier ein ausgewiesener Fachmann – ein Praktiker mit einem gut bepackten theoretischen «Rucksack» – aus dem Vollem schöpfen konnte und somit den anwesenden Eltern, Lehrern und Behördemitgliedern sehr wertvolle Denkanstösse mit auf den Weg gab. Nur schade, dass diese Chance von vielen verpasst wurde.

Als diplomierter Sozialarbeiter und Gemeindewesenarbeiter hat er in den vergangenen zwanzig Jahren die ganze Bandbreite von Jugendlichen und deren Probleme kennen gelernt. Er war als katholischer Jugendseelsorger tätig, war zuständig für die Jugendhäuser der Stadt Basel und des Kantons Basel Land, wo er massiv mit dem Extremismus konfrontiert wurde. Seit vier Jahren ist er freiberuflich tätig und betreut eine Anlauf- und Beratungsstelle für vom Rechtsextremismus Betroffene (Opfer, Eltern) in den Kantonen Basel Stadt und Land. Als Projektleiter der mobilen Jugendarbeit begegnet er den Jugendlichen im öffentlichen Raum, also nicht mehr in Jugendhäusern, sondern dort, wo sie sich gewohnheitsmässig, ohne äussere Organisation treffen (Bahnhöfe, öffentliche Plätze etc.). Diese «mobile Jugendarbeit» hat ihm viele neue Erkenntnisse gebracht, die er auch als Mitglied der AG Jugendgewalt der EKJ (Eidgenössische Kommission für Jugendfragen) einbringen kann.

 

Vom Umgang mit dem Fremden

«Fremdes ist im Alltag immer wieder beunruhigend, macht neugierig, verunsichert, irritiert; man wehrt es ab oder öffnet sich ihm. Fremdes macht Angst und fasziniert zugleich. Fremdes wohnt nicht in einer kulturellen Ausdrucksform oder Person inne. Es ist keine Eigenschaft, sondern drückt sich in der Differenz aus. Diese Differenz wird zu einem unversöhnlichen Gegensatz: das Eigene ist vertraut und gibt Sicherheit, das Fremde verunsichert.» (nach Prof. Edgar Forster, Universität Salzburg). Gewalt entsteht also dort, wo Differenzen durch Identitätsfixierungen zu festen Gegensätzen werden und nicht mehr verhandelbar sind.

Die gängigen Reaktionsmuster von Erwachsenen auf jugendliches «Schwierigsein» sind entweder die Nichtreaktion, die Banalisierung oder die Überreaktion, die Dramatisierung. Beide Muster haben den Ursprung in der eigenen Verunsicherung. Zur Zeit geschieht eine Fokussierung auf die Zunahme der Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen bei gleichzeitigem Ausblenden der parallelen Entwicklung unter Erwachsenen.

 

«Gewalttätige Jugend – ein Mythos?»

Die Jugendgewalt verbirgt einen «Stellvertreter-Konflikt». Es geht deshalb – um der Sache auf den Grund zu kommen – darum, die Diskussion um die Jugend- und Kinderkriminalität als Symptom für andere, nicht ausgesprochene Probleme und Konflikte zu entschlüsseln. Doch jeder Versuch einer relativierenden und zweifelnden Nachfrage stösst im Moment in der breiten Öffentlichkeit noch entweder auf Nichtbeachtung oder auf aggressive Zurückweisung. Die öffentliche und mediale Sichtbarkeit und Sichtbarmachung der «Goldkragen-Kriminalität» («crimes in the suites») fehlt fast ganz, dafür suhlt man sich an den sichtbaren «crimes in the streets»

(nach Professor Fritz Sack, Universität Hamburg). Nichts einigt eine Gesellschaft mehr als ihre Mörder.

 

Rahmenbedingungen der Identitätsbildung

In der Folge kam Franz Kohler auf die psychosozialen Hintergründe von jugendlichem Extremismus zu sprechen. Er ortet sie vor allem in der Identitätsbildung der Jugendlichen von heute. Im Ablösungsprozess vom Elternhaus in der pluralen Lebenswelt ohne soziale Klammern (Kirche, Vereine, Parteien), muss der Jugendliche seine Identität aus einer Unmenge von Entscheidungsoptionen herausfiltern und erarbeiten. Die selbst verunsicherten Erwachsenen bieten keine Projektionsflächen mehr und neigen zu Über- oder Nichtreaktion. Der Orientierungsbezug ist die Gruppe der Gleichaltrigen, die einen Familienersatz als Zwischeninstanz zwischen Herkunft und Perspektive (eigene Familie) darstellt. Darum hat die Freizeit für die Heranwachsenden einen hohen Stellenwert. Sie ist ein Experimentierraum, wo Grenzerfahrungen möglich sind – auch solche, welche nicht von strukturellen Rahmenbedingungen her per se sanktioniert werden.

 

Stolpersteine

Aber hier liegen auch die Stolpersteine auf dem Weg zu einer integrierten Identität: Statt eigener Identität bildet sich eine Abgrenzungsidentität, werden Vereinfachungen wie Populismus und Nationalismus gewählt; Fremdes wird als Behinderung der eigenen Identität gesehen. Es erfolgt eine Eskalation von Provokationsverhalten, um wahrgenommen zu werden oder der Rückzug ins Private bis hin zum Missbrauch von Genuss- und Suchtmitteln.

Die Provokationen des «Gegners» und der «Öffentlichkeit» sind als Appell an eben diese Öffentlichkeit zu verstehen und rufen nach Dialog oder konstruktiver Auseinandersetzung mit öffentlichen Amts- oder Mandatsträgern.

 

Wege zur De-Eskalation und Prävention

Pädagogische Interventionen, solche, welche die eine oder andere Gruppe in eine konfrontative Kommunikation einbinden, sind angezeigt. Natürlich auch die Intervention durch das staatliche Gewaltsmonopol, wenn strafrechtlich relevante Straftatbestände vorliegen. Anderseits kann Mediation als Instrument dienen, wenn bei beiden Gruppen ein Leidensdruck manifest ist, beide also ein Interesse haben, aus der Gewaltspirale auszusteigen.

Die Bündelung der präventiven Kräfte (Empowerment) durch den Einsatz von Personen des Vertrauens bei Polizei, Eltern, Schule, Politik, Sozial- und Jugendarbeit und Sport muss wirksam werden, damit diese gesellschaftliche Verantwortung wieder wahrgenommen werden kann. Das Zusammenarbeiten mit verschiedenen Disziplinen ist also nicht als Ausdruck eigener Hilflosigkeit zu werten, sondern als Erweiterung der eigenen Handlungskompetenz durch Abrundung mit externen Potentialen. Dazu braucht es aber bei allen Beteiligten gezielte Schulung und Unterstützung, damit die Jugendlichen mit diesen Kräften in eine gewünschte Auseinandersetzung treten können. Franz Kohler schilderte sehr anschaulich an Hand einer Reihe von SMS, die schliesslich dazu führten, den betroffenen Rechtsextremen zu treffen und mit ihm in ein echtes Gespräch zu treten.

 

Offene Jugendarbeit

Offene Jugendarbeit, die mobile, die aufsuchende Jugendarbeit – nicht (nur) im Jugendhaus – verspricht hier sehr viel, wenn in der Jugendarbeit die Grundhaltung akzeptierend ist (die Person, nicht aber das vertretene Handeln akzeptieren), gekoppelt mit einer klaren Grenzziehung, welche aber mindestens zwei Entscheidungsoptionen offen lässt. Auch die eigenen Ängste, die Betroffenheit und die Bedürfnisse dürfen und sollen in die Auseinandersetzung eingebracht werden, dürfen aber nicht zur bestimmenden Grösse von letztlich gemeinsam zu treffenden Entscheidungen werden. Heute fehlt leider in vielen Diskussionen die Frage gesellschaftlicher Potentiale in der Begleitung von jugendlichen Identitätsbildungsprozessen. Wer getraut sich heute schon zum Beispiel randalierenden Jugendlichen in der S-Bahn mit den Worten «So nicht, jetzt reichts aber!» zu begegnen? Wir haben gelernt wegzuschauen, wenn uns unangenehmes Verhalten berührt. Stellvertretend nehmen Jugendarbeiter vor Ort solche Herausforderungen und Potentiale als öffentliche Verantwortlichkeiten wahr.

 

Engagiertes Publikum

In der intensiv genutzten Fragerunde nach dem Referat ging Franz Kohler sehr differenziert und mit vielen eigenen Erlebnissen auf die aufgeworfenen Fragen der (leider wenigen) Eltern und Behördemitglieder ein, ohne aber zu verhehlen, dass auch er nicht immer ein Patentrezept zu Hand habe. Das Podium Wettswil und die Elternbildungsgruppe der Oberstufe haben mit diesem Abend wertvolle Informationen über die Motive hinter extremen Reaktionen und Möglichkeiten, ihnen zu begegnen, weitervermittelt.

Die nächste Veranstaltung des Podiums findet am Dienstag, 13. Mai um 20 Uhr wieder im Türmlihuus Wettswil zum Thema «Migräne» statt. Referent wird dann Dr. Reto Agosti von der Schmerzklinik Hirslanden sein.

Am Donnerstag, 26. Juni gehts dann um 9 Uhr in der Reihe «Schlösser und Klöster der Umgebung» zum Kloster Muri mit einer Führung durch den Benediktinerpater Leo.

 

Bild: Franz Kohler referierte in Bonstetten zum Thema «Extremismus – Appellative Signale verstehen» (eschla)

 

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