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Projekt-Management im Sozialwesen

Themen > Weiterbildung und Beratung > «Jugend im Zeichen des Populismus»

Laufen

 

Referat anlässlich einer Halbtagessitzung des Gemeinderates mit den Kommissionen zum Thema «Jugend im Zeichen des Populismus»

 

Dem Referat vorangegangen war eine kurze Besprechung mit dem Gemeinderat.

 

Anlass für diese Besprechung mit dem Gemeinderat bot die Beobachtung latenter rechtsextremistischer Umtriebe unter Jugendlichen in der Gemeinde und die Feststellung einer eigenen Hilflosigkeit im Umgang mit diesem Phänomen. Zunächst hatte der Gemeinderat sich an die Jugendanwaltschaft des Kantons gewandt, um sich beraten zu lassen. Diese hat empfohlen, sich zunächst – vor der Erörterung von repressiven Möglichkeiten im Umgang mit dem Rechtsextremismus – mit der Frage pädagogischer Möglichkeiten zu befassen und hierzu mit PMS Kohler Kontakt aufzunehmen.

 

Anlässlich der Gemeinderatssitzung vom 6. August 2001 wurden nach Darlegung der Ausgangslage drei Optionen einer Erweiterung der Handlungskompetenz im Umgang mit dem Rechtsextremismus in der Gemeinde erörtert:

 

  1. Referat anlässlich der ein Mal jährlich stattfindenden Halbtagessitzung mit den Gemeinde-Kommissionen: 1 Std. zum Thema « Jugend im Zeichen des Populismus – Wechselwirkungen zwischen Jugendgruppierungen und Umfeld» davon 20 Minuten Input, anschliessend Diskussion und Fragen beantworten, Als Schlusspunkt soll ein Anskizzieren der Grundlagen wirksamen Handelns dargelegt werden.
  2. Coaching des Gemeinderates und / oder Schlüsselpersonen, welche im di-rekten Kontakt mit der Zielgruppe sind zwecks Aufbau der Handlungskompetenzen
  3. Aufbau und Implementierung von mobiler Jugendarbeit

 

Der Gemeinderat hat darauf entschieden, sich zunächst auf das Referat anlässlich der Halbtagessitzung zu konzentrieren, die anderen beiden Möglichkeiten sich als Handlungsoption aber zu bewahren.

 

 

25. September 2001:

 

Referat

 

Sehr geehrte Damen und Herren

 

Ich danke dem Gemeinderat für die Gelegenheit, zu Ihnen zu sprechen.

 

Ziel meines Beitrages ist, Ihnen in einem ersten Schritt Verständnis für die Hintergründe populistischer Orientierungen zu vermitteln, Ihnen anschliessend Raum für Fragestellungen zu geben, vielleicht können wir gar in eine kurze Diskussion eintreten. Zum Schluss möchte ich Ihnen die Grundhaltungen und Grundlagen einer Auseinandersetzung mit diesem Phänomen erläutern, welche dazu beitragen könnte, den Gefahren, die von diesem Phänomen ausgehen, zu begegnen, sprich Ihre Handlungskompetenz im Umgang mit jugendlichem Populismus zu steigern. Dabei ist mir bewusst, dass mit diesem Schritt erst ein Ansatz fokussiert werden kann, noch aber keine Lösungen gefunden sind.

 

Was sind die Grundlagen der Orientierungen von Jugendlichen?

Ich möchte an dieser Stelle darauf verweisen, dass die folgenden Gedanken sich zwar daran orientieren, was Jugendliche in der Zeit des Heranwachsens zum Erwachsenen bewegt. Aber, was ich nun zur Darstellung bringe, gilt genausfür Erwachsene, auch sie sind herausgefordert, sich in ihrer Umwelt laufend neu zu orientieren, tun dies allerdings nicht mit derselben Brisanz, wie sie in jugendlichem Verhalten zum Ausdruck kommt.

 

Identitätsbildungsprozesse:

 

  • Jugendliche beginnen spätestens mit der Pubertät einen Ablösungsprozess vom Elternhaus
  • Sie tun dies in einer kommunikativen Orientierung durch Prüfung von und Auseinandersetzung mit Werten und Normen des umgebenden erwachsenen Umfeldes
  • Die eigene Identität wird herausgebildet sowohl durch die Abgrenzung von erwachsenen Werten als auch durch die Anlehnung an solche Werte.

 

Pluralisierung der Lebenswelten bei gleichzeitigem Verlust von sozialen Klammern

 

  • Jugendliche von heute haben den Vorteil, dass die Grundwerte, welche Eltern vermitteln eher diskutiert werden können, als dies vor 20 oder 30 Jahren noch der Fall war. Soziale Klammern (Orientierungen, welche selbstverständlich an die nächste Generation weitergegeben werden wie Kirchen-, Partei- oder Vereinszugehörigkeit) haben längst nicht mehr die Bedeutung, welche diese für Familien vor ein paar Jahrzehnten noch hatten.
  • Der Vorteil einer Vielzahl von Entscheidungsoptionen, was die Lebensbezüge und die Lebensperspektiven anbelangt, wird gleichzeitig für Jugendliche aber auch zur Hypothek: Identität muss aus einer Unmenge von Entscheidungsoptionen herausgefiltert und erarbeitet werden.
  • Nebst den unterschiedlichsten Lebensvollzügen, welche Jugendliche bei erwachsenen Vorbildern vorfinden, tragen auch noch medial vermittelte Vorbilder dazu bei, Jugendlichen eine Selbstdefinition zu erschweren.
  • Aber auch für Erwachsene hat die Erweiterung der Möglichkeiten der Selbstdefinition Konsequenzen: Sie gehen für Jugendliche als Projektionsflächen verloren (selbst verunsichert neigen sie zu Über- bis hin zu Nichtreaktion)

 

Orientierungsbezug Gruppe Gleichaltriger

 

  • Die Gruppe von Gleichaltrigen gewinnt unter diesen Umständen zunehmend an Gewicht für die Identitätsbildungsprozesse Heranwachsender: Sie ist Schicksalsgemeinschaft auf der Suche nach Orientierung.
  • Sie wird somit zum Familienersatz als Zwischeninstanz zwischen der Herkunft(sfamilie) und persönlichen Familenperspektive (eigene Familie).

 

Die Bedeutung von Freizeit für Heranwachsende:

 

  • Es sei an dieser Stelle nochmals darauf verwiesen, dass das, was ich nun erläutere nicht nur für Heranwachsende gilt. Ähnliche Phänomene lassen sich zunehmend auch bei Erwachsenen, insbesondere bei Männern beobachten
  • In der Wahrnehmung von heranwachsenden Jugendlichen ist die Freizeit und deren Beziehungsgefüge der einzige Ort:
    • Ohne Leistungsverpflichtung
    • Mit der Möglichkeit der Selbstdefinition
    • Mit der Möglichkeit, die Inhalte des persönlichen Tuns auch selbst zu bestimmen
    • Und Experimentierraum, wGrenzenfahrungen möglich sind, welche nicht von strukturellen Rahmenbedingungen her per se sanktioniert werden.

 

Was sind nun die Stolpersteine auf dem Weg zur integrierten Identität?

 

  • Statt eigener Identität eine Abgrenzungsidentität bilden. Dies ist übrigens kein jugendspezifisches Problemverhalten, sondern gesellschaftlich akzeptiert und weit verbreitet! Siehe Konkurrenzverhalten am Arbeitsplatz, siehe latente Fremdenfeindlichkeit bis in die hohe Politik! «Fremdes» als Behinderung der eigenen Identität fokussieren: z.B:
    • Gegen AusländerInnen in Form von Rechtsextremismus
    • Und weil alles skompliziert und widersprüchlich ist werden Vereinfachungen gesucht: Populismus bietet solche vereinfachenden Lösungen scheinbar an und ist deshalb für Jugendliche attraktiv, viel mehr noch als die populistische Orientierung wirken populistische Exponenten anziehend (bei rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen wird demnach auch nicht die SVP oder die SD als Vorbild genannt, sondern eigentlich immer eine Person: Christoph Blocher)
    • Gegen Frauen in Form von Sexismus / Machismo
  • Wenn Jugendliche in der Identitätsbildung durch Abgrenzung keine Grenzziehung gespiegelt erhalten, ist zu verzeichnen:
    • Eine Eskalation von Provokationsverhalten, um wahrgenommen zu werden
    • Oder ein Rückzug ins Private: Psychischer Rückzug bis hin zum Missbrauch von Genuss- /bzw. Suchtmitteln

 

Fragerunde / Diskussion

 

Zum Schluss: Was sind elterliche, schulische, jugendarbeiterische, aber auch öffentliche Möglichkeiten der Begleitung von Identitätsbildungsprozessen Heranwachsender?

 

Wo liegen die Möglichkeiten und wo Grenzen?

Ich darf vorausschicken: Wenn in der öffentlichen Diskussion die Frage möglicher Massnahmen bei jugendlichem Verhalten, welches Anstoss erregt, aufgeworfen wird, beobachte ich, dass dann immer der Ball hin und hergeschoben wird zwischen Eltern – Schule und Polizei. Schauen wir uns die Möglichkeiten und Grenzen dieser drei Parteien einmal etwas genauer an:

 

  • Eltern: Bei den Identitätsbildungsprozessen ihres Nachwuchses dienen sie als Projektionsfläche für deren Abgrenzungsverhalten. Da fällt es natürlich schwer, Betroffenheiten in den Hintergrund rücken zu lassen.
  • Schule: In den Augen von Jugendlichen ist die Schule, nebst einer Einrichtung der Wissensvermittlung, auch eine erzieherische Instanz. Insofern gilt ähnliches wie ich es oben betreffend der Eltern vermerkt habe. Bei der Schule kommt nun aber im öffentlichen Diskurs hinzu, dass sie auch herangezogen wird zur Bewältigung von jugendlichem Problemverhalten, welches sich ausserhalb ihres Einflussbereichs bei Jugendlichen entwickelt und dort auch stattfindet: In der Freizeit. Selbstredend kann und soll die Schule etwas unternehmen, dort wsich im Klassenverband oder im Schulhaus als Ganzes destruktive Dynamiken unter Jugendlichen entwickeln, ich muss es aber noch einmal sagen: Auf das Freizeitverhalten von SchülerInnen kann, soll und darf die Schule keinen Einfluss nehmen.
  • Polizei: Sie gehen wohl mit mir einig, dass wenn die Polizei gerufen wird, es schon sehr spät ist. Die Entwicklung von jugendlichem Problemverhalten war mit Sicherheit schon lange zuvor im öffentlichen Raum sichtbar. Ich will damit keineswegs sagen, dass polizeiliche Interventionen unnütz seien, ich erachte es im Gegenteil als wichtig, dass auch mit repressiven Mitteln jugendlichem Verhalten Grenzen gesetzt werden, dies aber dann, wenn die pädagogischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind oder durch Repression (zunächst Androhung, bei Bedarf Umsetzung) ergänzt werden sollen.

 

Was in solchen Diskussionen meist gänzlich fehlt, ist die Frage gesellschaftlicher Potentiale der Begeleitung von jugendlichen Identitätsbildungsprozessen. Früher, ich will jetzt nicht die «guten, alten Zeiten» heraufbeschwören, war es nicht die grosse Ausnahme, wenn Erwachsene (vor allem Ältere) Jugendlichem Verhalten mal mit den Worten begegnet sind «Snicht, jetzt reicht’s). Heute haben wir gelernt, wegzuschauen, wenn und unangenehmes Verhalten unangenehm berührt.

 

Was braucht es, damit diese gesellschaftliche Verantwortung wieder wahrgenommen werden kann?

Nach meinem Dafürhalten gibt es zwei Möglichkeiten hierfür:

 

  • Ein «Empowerment» von Personen des öffentlichen Lebens, welche mit solchen Jugendlichen in Berührung kommen, d.h. die Schulung und Unterstützung, damit diese in die von Jugendlichen eigentlich gewünschte Auseinandersetzung treten können.
  • Oder die Einrichtung eines stellvertretenden Instruments: Der offenen Jugendarbeit (Jugendhaus, besser noch mobile, aufsuchende Jugendarbeit)

 

Erfahrungswerte meiner langjährigen Tätigkeit mit Jugendlichen sind:

 

Als Grundhaltungen müssen für beide (Personen des öffentlichen Lebens und JugendarbeiterInnen) gelten:

 

  • Anerkennung des Wertes von Gleichaltrigengruppen als wichtigste Sozialisationsinstanz in diesem Lebensalter
  • Anerkennung, dass die eigenen Werte und Normen zunehmend an Bedeutung verlieren im Aushandlungsprozess mit Heranwachsenden
  • Anerkennung, dass sowohl ein Ignorieren wie ein Dramatisieren in der Auseinandersetzung mit Heranwachsenden, deren Identitätsbildung behindert
  • Schliesslich bedarf es:
  • Akzeptierender Grundhaltung, welche gekoppelt ist an
  • Klare Grenzziehung, welche aber keinesfalls starr und unverhandelbar daherkommen darf, sondern
  • Immer mindestens zwei Entscheidungsoptionen offen lässt. Begründung: Trifft der Jugendliche den Entscheid für eine Option, sidentifiziert er sich mit diesem Entscheid. Dieser Entscheid wird somit zum integrierten Bestandteil seine Identität. Hat er hingegen nur einen Entscheid gegen seinen Willen offen, sfördern wir die (an sich schon genügend problematische) «Gegen»identität.

 

  • Wichtig bleibt aber: Eigene Ängste/Betroffenheiten/Bedürfnisse dürfen und sollen in die Auseinandersetzung eingebracht werden, dürfen aber nicht zur bestimmenden Grösse von letztlich gemeinsam zu treffenden Entscheidungen werden!

 

 

Ausblick

In Rücksprache mit meinem Auftraggeber, Stefan Mathis, Direktionssekretär der Justiz-, Polizei- und Militärdirektion, darf ich Ihnen folgende Information zukommen lassen:

Die Arbeitsgruppe Rechtsextremismus des Kantons BL wird in Kürze ihren zweiten Bericht der Regierung zur Beratung und zum Entscheid vorlegen. Darin empfiehlt sie, in einer Pilotgemeinde ein Verfahren zur Steigerung der Handlungskompetenz des öffentlichen Lebens experimentell durchzuführen und empfiehlt, angesichts der guten Voraussetzungen, dies in Laufen zur Umsetzung zu bringen. Dafür dürften rund 10 Stunden meiner Arbeitszeit, durch den Kanton finanziert, Laufen für einen solchen Prozess zur Verfügung gestellt werden.

 

Verabschiedung

Ich hoffe, Ihnen mit meinen Gedanken Ansätze geboten zu haben, welche es Ihnen ermöglichen, im Umgang mit dem Populismus Jugendlicher einen Schritt weiter zu kommen.

 

Ich bedanke mich für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit.

 

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